Tim Merforth
Managing Director
Nov. 7, 2025
Business
Tim Merforth
Managing Director

Ökosystem-Blaupause - Welche Bausteine erfolgreiche High Tech Ökosysteme brauchen.

Am 29. Oktober 2025 startete offiziell die Hightech Agenda Deutschland (HTAD) mit einer großen Veranstaltung in Berlin. Die HTAD bündelt den Anspruch, Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit durch sechs Schlüsseltechnologien zu stärken: Künstliche Intelligenz, Quantentechnologien, Mikroelektronik, Biotechnologie, Fusion & klimaneutrale Energieerzeugung sowie Technologien für klimaneutrale Mobilität. Der Kick‑off markiert den Übergang von Strategie zu Umsetzung – ein idealer Moment, um über die Voraussetzungen leistungsfähiger High‑Tech‑Ökosysteme zu sprechen. 

Die Bundesregierung flankiert die Agenda mit verschiedenen Hebeln sowie dedizierten Fokus-Strategien wie z.B. zur Mikroelektronik und einem spürbaren Fokus auf Bürokratieabbau und Verfahrensbeschleunigung

Ziel: Forschung, Fachkräfte und Fertigung entlang der gesamten Wertschöpfungskette zusammenbringen – schneller, verlässlicher, planbarer. Für Regionen heißt das: Wer die richtigen Bausteine parat hat, kann jetzt Tempo machen

Warum Ökosystem – und nicht „nur“ Projekte?

Innovationspolitik wirkt dann, wenn Wissenschaft, Start‑ups, Mittelstand und Großindustrie auf engem Raum und mit klaren Zuständigkeiten zusammenspielen. Ein Ökosystem ist deshalb mehr als die Summe seiner Projekte: Es ist Infrastruktur + Talente + Kapital + Netzwerke + Governance – und ein gemeinsames Narrativ, das Sichtbarkeit schafft. Im Rahmen einer Reise ins Silicon Saxony, unmittelbar nach meinem Start als neuer Geschäftsführer Mitte 2025 bei IVAM – einem der größten, internationalen Mikrotechnologie-Netzwerke, konnte ich ein spannendes und lebendiges Ökosystem direkt vor Ort besichtigen und mit vielen der Akteure persönlich sprechen. Auch direkt bei IVAM vor Ort, in Dortmund, sowie dem gesamten Ruhrgebiet gibt es viele Beispiele für florierende Ökosysteme. 

Aus den verschiedenen Gesprächen habe ich eine „Blaupause“ mit den aus meiner Sicht 16 wichtigsten Zutaten erstellt.

1) Strategischer Fokus (Schwerpunkte & Use‑Cases)

  • Rolle: Richtet das Ökosystem auf klar benannte Technologiefelder und konkrete Anwendungsfälle aus –und fungiert so thematischer Schwerpunkt für alle Akteure.
  • Aufgabe: Klar definierte Schwerpunkte sowie priorisierte Use-Cases helfen allen Akteuren die Roadmap und Ressourcen daran auszurichten.
  • Relevanz: Fokus bündelt Mittel, erhöht Entscheidungsgeschwindigkeit, schafft messbare Erfolge und eine prägnante Standortpositionierung.
  • Beispiel: In Sachsen beschleunigt der Fokus auf Mikroelektronik/Power‑Semiconductors sowie den Use-Cases Automotive-Leistungselektronik, Industrie-Elektronik und Packaging den Dealflow entlang einer klaren Wertschöpfung.

2) Zentrale Koordinierungsstelle (Ecosystem-PMO)

  • Rolle: Orchestriert das Zusammenspiel von Verwaltung, Hochschulen, Industrie, Start-ups und Kapital: „Eine Stelle, ein Takt, eine Roadmap“.
  • Aufgabe: Koordinierung der verschiedenen Akteure, gemeinsame Ziele/KPIs pflegen, Issue-List & Bottleneck-Management treiben, Förderfenster kuratieren, Permit-/Visa-Pfad koordinieren, Transparenz via öffentliches Dashboard schaffen; regelmäßige Jour-fixes und Lagebilder.
  • Relevanz: Verhindert Doppelarbeit, erhöht Verbindlichkeit sowie Geschwindigkeit – und macht das Ökosystem nach außen ansprechbar.
  • Beispiel: Imec in Belgien fungiert als neutrale Orchestrierungseinheit zwischen Industrie, Start-ups, Universitäten und Verwaltung/Kommunen.
     

3) Exzellente Hochschulen, anwendungsnahe Forschung & eine komplette Talent-Pipeline

  • Rolle: Quelle für Talente, Ausgründungen und Technologie‑Transfer sowie breiter Fachkräfte‑Zufluss von Berufsschule bis PhD.
  • Aufgabe: Forschungsagenda mit regionalen Leitmärkten verzahnen; IP‑Regeln ausgründungsfreundlich gestalten; gemeinsame Professuren/Industrie‑Labore; Ausbildungs- und Qualifizierungsmodule.
  • Relevanz: Ohne belastbaren Talent‑ und Erkenntnisstrom versiegen Start‑ups und Innovationsprojekte.
  • Beispiel: TU Dresden als Exzellenzuniversität; Exzellenzcluster wie z.B. TU Dortmund und Ruhr-Universität Bochum, dazu Fraunhofer‑Institute vor Ort (z.B. IPMS, ENAS, IML u. a.) oder auch Horst-Görtz-Institut für IT-Sicherheit (HGI) in Bochum - dem größten Ausbildungsort für IT-Sicherheit in Europa. 

4) Industrielle Anker & vollständige Wertschöpfung

  • Rolle: Ankerunternehmen sichern Nachfrage, Lieferkettenkompetenz und Lernkurven.
  • Aufgabe: Anreize für Re‑Invests, Zulieferer‑Ansiedlungen, Pilotfertigungen und Co‑Entwicklung.
  • Relevanz: Innovationsgeschwindigkeit steigt, wenn Forschung ↔ Pilotline ↔ Serie dicht beieinander liegen.
  • Beispiel: ESMC/TSMC‑Fab in Dresden (Produktion ab 2027 geplant) und Infineons Smart‑Power‑Fab als europäische Leuchttürme. 

5) Finanzierungskette: von Pre‑Seed bis Growth

  • Rolle: „Patient Capital“ für Deeptech – über öffentliche Anschubfinanzierung hinaus. 
  • Aufgabe: Regionales Dealflow‑Management, Co‑Investment‑Abkommen, Investor‑Readiness.
  • Relevanz: Hardware‑/Deeptech‑Zyklen brauchen längere Runways und Anschlussfinanzierungen.
  • Beispiel: HTGF (bis ~1 Mio. € Seed, bis ~4 Mio. € gesamt) und Wachstumsfonds Deutschland als Fonds‑von‑Fonds.

6) One‑Stop‑Wirtschaftsförderung & Verfahrensbeschleunigung

  • Rolle: Eine zuständige Anlaufstelle für Ansiedlungen, Genehmigungen, Visa, Fördermittel.
  • Aufgabe: Interne „rote Teppiche“ etablieren: feste SLAs, Lotsenprinzip, digitales Permit‑Tracking.
  • Relevanz: Time‑to‑Permit ist ein harter Standortfaktor.
  • Beispiel: Ansiedlungsservice der Stadt Dortmund als gebündelter Ansprechpartner. 

7) Flächen & Versorgungsinfrastruktur

  • Rolle: Baureife, erschlossene Standorte – inkl. Energie, Wasser/Abwasser, Verkehr, Rechenzentren.
  • Aufgabe: Frühzeitige Flächensicherung, Lastgang‑Management, überregionale Netzanbindung.
  • Relevanz: Großvorhaben scheitern oft am „Wo“ – nicht am „Ob“.
  • Beispiel: Gewerbeflächendatenbank der Wirtschaftsförderung Sachsen als Transparenz‑Tool. 

8) Technologie‑ & Gründerzentren

9) Hubs, Testbeds & Datenräume

  • Rolle: Co‑Innovation und schnelle Pilotierung über Cluster‑ und Branchengrenzen hinweg.
  • Aufgabe: Offene Testumgebungen, Manufacturing‑X/Datenräume, offene Schnittstellen.
  • Relevanz: Innovationszyklen verkürzen sich, wenn Prototypen real getestet werden.
  • Beispiel: Smart-Systems-Hub (de:hub), u. a. mit Digital‑Product‑Factory und Use‑Case‑Formaten. 

10) Sichtbarkeit durch Leitmessen & Netzwerkformate

  • Rolle: Bühne für Dealflow, Talent‑Attract und Standortmarke.
  • Aufgabe: Eigene Formate (Jahrestage, Demo‑Days) plus internationale Leuchttürme bespielen.
  • Relevanz: Sichtbarkeit ≠ PR‑Selbstzweck – sie zieht Partner, Kapital und Fachkräfte an.
  • Beispiel: Silicon Saxony Day oder IVAM Hightech Summit
Beim IVAM Hightech Summit treffen sich einmal im Jahr die führenden Köpfe der Mikrotechnik. 

11) Internationale Netzwerke & Allianzen

  • Rolle: Zugang zu Märkten, Talenten, Projekten – und EU‑Programmen.
  • Aufgabe: Aktive Mitgliedschaften, gemeinsame Calls/Projekte, wechselseitige Delegationen.
  • Relevanz: European Scale schlägt Insellösungen.
  • Beispiel: IVAM – Microtechnology Business Network bietet Zugang zu internationalen Märkten und Partnern. 

12) Standort‑Governance & Expertenräte

  • Rolle: Gemeinsame Strategie, Monitoring, Eskalationswege – wer entscheidet was bis wann.
  • Aufgabe: Öffentliche Hand, Wissenschaft, Industrie, Kapitalgeber an einen Tisch; klare Roadmaps.
  • Relevanz: Gute Governance verkürzt die „letzte Meile“ in der Umsetzung.
  • Beispiel: Expertenbeirat im Ökosystem der Bochumer Gesundheitswirtschaft.

13) Proaktive Presse‑ & Öffentlichkeitsarbeit / Standortmarke

  • Rolle: Ein konsistentes Narrativ – wiedererkennbar, messbar, international anschlussfähig.
  • Aufgabe: Mediaplan, Thought‑Leadership, Earned/Owned/Shared Media aus einem Guss.
  • Relevanz: Narrative stiften Sinn und senken Suchkosten für Investoren und Talente.
  • Beispiel: „Silicon Saxony“ als international zugängliche Cluster‑Marke. 

14) Innovationsfreundliche öffentliche Beschaffung

  • Rolle: Staat als Lead‑Kunde für neue Lösungen (z. B. via Wettbewerblichem Dialog).
  • Aufgabe: Vergabekompetenz aufbauen, Pilotbeschaffungen, Start‑up‑fähige Lose; Leitfäden nutzen.
  • Relevanz: Öffentliche Nachfrage kann ganze Marktnischen aktivieren.
  • Beispiel: KOINNO bündelt Praxis‑Guides und Beratung. 

15) Europa‑Kompatibilität & Förderarchitektur

  • Rolle: EU‑Programme (Chips Act, IPCEIs, Eurocluster) und nationale Strategien zusammendenken.
  • Aufgabe: Förder‑Portfolio kuratieren (Design, Fertigung, Packaging, Test), Kofinanzierung sichern.
  • Relevanz: Großprojekte gelingen nur im Mehr‑Ebenen‑Match.
  • Beispiel: ESMC/TSMC‑Fab (EU‑Beihilfe) und Infineon‑Förderung in Dresden.

16) Lebensqualität & Willkommenskultur

  • Rolle: Wohnraum, Mobilität, Kinderbetreuung, internationale Community – der „weiche“ Hard‑Fact.
  • Aufgabe: Relocation‑Services, englischsprachige Behördengänge, Familienangebote.
  • Relevanz: Talente entscheiden mit den Füßen – People Experience ist Standortpolitik.
  • Beispiel: Willkommenstour für neue Spitzenkräfte aus Wirtschaft und Wissenschaft der Wirtschaftsförderung Dortmund.
Meine Willkommenstour in Dortmund mit der Wirtschaftsförderung Dortmund.


Die Hightech Agenda Deutschland liefert den politischen RückenwindÖkosysteme liefern die Umsetzung. Wer Universitäten, Ankerindustrie, One‑Stop‑Förderlogik, Flächen, Hubs/Testbeds, Kapital und Governance koordiniert und sichtbar macht, beschleunigt Innovations‑ und Investitionszyklen spürbar. 

Die verschiedenen Beispiele – von Großinvestitionen über Hubs bis zu Ausbildung – zeigen, wie sich genau diese Zutaten komplementär verstärken. Die Hightech Agenda Deutschland setzt den Rahmen – den Unterschied machen Regionen, die Ökosysteme systematisch bauen.